In der Gesprächsführung im Rahmen der Einzelfallhilfe kommt es immer wieder zu Situationen, in denen es um Schuld geht. Diese Thematik tritt in verschiedenen Dimensionen auf. Beispielsweise fühlt sich ein Klient schuldig, weil er einen Fehler gemacht hat. Oder er/sie nutzt den Schuldvorwurf als Neutralisierungsstrategie, indem er z.B. Dritte für bestimmte Entwicklungen verantwortlich macht. Das kann in letzter Instanz sogar den Sozialarbeiter betreffen: Dieser sei zum Beispiel daran schuld, dass irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie der Klient sich das vorgestellt hat. Folgende Aussagen deuten darauf hin, dass es im Gespräch gerade um das Thema „Schuld“ geht:
- „Meine Mutter hat mir nie beigebracht, zu kochen. Kein Wunder, wenn ich mein Geld immer bei McFastfood liegen lasse.“
- „ Hätte die Straßenbahn keine Verspätung gehabt, wäre ich auch nicht zu spät gekommen.“
- „ Ich weiß, ich habe schon wieder getrunken, obwohl ich mir geschworen habe, die Finger vom Alkohol zu lassen.“
- „Sie sind mein Sozialarbeiter, Sie müssen mir doch helfen!“
Für einen professionellen, zielführenden Umgang mit dem Thema Schuld ist es hilfreich, den jeweiligen Schuld-Typus zu erkennen, um adäquat darauf reagieren zu können:
- Einerseits lenkt eine Zuschreiben der Schuld an Dritte von der eigenen Verantwortung ab. Einfach gesagt, versucht man damit, eine „weiße Weste zu behalten“. Damit handelt es sich um einen Selbstschutzmechanismus. Ebenso soll diese Strategie verdeutlichen, dass man „nichts dafür kann“ und man, daraus resultierend, selbst auch nichts für eine Veränderung der Situation beitragen konnte (und kann). Da es hier um die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes geht, ist es in der professionellen Rolle wichtig, auf die Kontrollüberzeugung des Klienten zu fokussieren. Das heißt: Entferne dich von dem Konzept Schuld und schaue, wo im Prozess deine eigene Handlungsentscheidung liegt (Was kannst du persönlich steuern?).
- Im Falle einer Schuldzuweisung an das direkte Gegenüber (zum Beispiel den Sozialarbeiter) kommt noch die Einleitung eines Konfliktes hinzu. Der Klient macht damit ein Angebot, sich auf eine Diskussion darüber, wer im Recht ist, einzulassen. Ist er erfolgreich, erfüllt „Schuld“ weiterführend die Funktion, dem eigentlichen Schauplatz, der Problemlagenbehebung, zu entgehen. Das ist vordergründig erstmal recht praktisch für beide Seiten, schließlich muss sich keiner der Protagonisten mit dem Unangenehmen (aus Sicht des Klienten) bzw. dem Mühseligen (aus Sicht des Sozialarbeiters) befassen. Hier ist es für die Profine wichtig, diese Einladung zu erkennen und sich nicht darauf einzulassen. Gerade in gewachsenen Arbeitsbeziehungen ist das nicht immer leicht. Hier wäre der Fokus auf Kontrollüberzeugung fatal, denn das würde die Einladung zum Boxkampf aus Sicht des Klienten womöglich nochmal unterstreichen. Nach meiner Erfahrung kann es dagegen hilfreich sein, sich selbst ein wenig zurückzunehmen: „Ich verstehe Ihren Vorwurf. Wie müssen wir also vorgehen, dass das Ergebnis in Ihrem Sinne ausfällt?“
- Gibt der Klient sich selbst die Schuld, ist das für die Fachkraft erstmal verlockend („Einsicht ist der erste Weg zur Besserung“). Im Rahmen der Gesprächsführung, wo es ja nicht um Erziehung, sondern um Beratung geht, ist dies jedoch wenig hilfreich. Denn Schuld kann hier die ähnliche Funktion haben, wie auch medizinische Diagnosen haben können: Indem es eine Erklärung für eine bestimmte Verhaltensweise gibt, kann man sich darauf zurückziehen und sich in der Erklärung häuslich einrichten. Schuld fungiert hier als Einbahnstraße in die Handlungslosigkeit. Sätze wie „ich bin dann halt so“ oder „das schaffe ich sowieso nicht“ deuten darauf hin, dass der Klient sein „Elend“ akzeptiert und damit mögliche Perspektiven einer Veränderung aufgeben wird. Hier liegt die Vermeintliche Lösung auf der Hand: Empowerment und Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung. Doch Vorsicht: Bitte hüten Sie sich vor der Heinzelmännchen-Rolle und lassen Sie sich nicht für die Erledigung seiner eigenen Aufgaben instrumentalisieren.
Allen Dimensionen ist eines gemein: Schuld führt zu Stillstand. Ob man nun die Verantwortung nach außen verlagert, einen Nebenschauplatz eröffnet oder sich selbst eine Bürde auferlegt: Es lähmt den Prozess der Problemlösung.