In diesem Artikel geht es um die Möglichkeit, Kämpfe in Psychohygiene umzuwandeln.
Beispiel: Seit Jahren tobt eine Auseinandersetzung zwischen der akademischen Medizin und der alternativen Heilkunde. Das zeigt sich besonders an der Homöopathie: Vertreter der Schulmedizin setzen auf gängige wissenschaftliche Methoden, um die Wirksamkeit von Behandlungen zu belegen und um Beweise für die Unwirksamkeit von homöopathischen Verfahren zu finden. Umgekehrt kämpfen Vertreter der Homöopathie um die Anerkennung der Heilmethode, indem sie um jeden Wirksamkeit-Nachweis ringen, der mit gängigen Methoden der Wissenschaft zu erhalten ist. Inzwischen ist man zumindest einen Schritt weiter: so akzeptiert die empirische Medizin die Wirkung einiger homöopathischer Verfahren als Placebowirkung. Doch das reicht den Homöopathinnen nicht.
Mir kommt das immer so vor, als ob es sich um einen ideologischen Kampf zweier Schulen handelt, der auf dem Rücken von Menschen ausgetragen wird, die durch Krankheit leiden. Sicherlich spielt auch Monetarisierung eine Rolle.
Geh mir weg…
Ich würde die Sache von einer anderen Seite angehen: Es gibt diesen alten Spruch: “was heilt hat Recht”. Es ist egal, ob ein Mittel auf physischer Ebene wirkt, solange es einen psychischen oder seelischen positiven Effekt auf die Person hat. Wir wissen heute, dass sich subjektives Wohlbefinden aus kognitiven und seelischen Komponenten speist (z.B. Hoffnung und Selbstwirksamkeit). Und wir wissen auch, dass das Wohlbefinden einen unmittelbaren Einfluss auf Heilung beziehungsweise Linderung von subjektiven Beschwerden hat. Eine Diffamierung einer anderen Herangehensweise für ein Problem muss nicht sein. Stattdessen ist es im Sinne von Patienten, dass die behandelnde Person das Wohl des Patienten im Blick hat. [1]
Ich möchte meine Position gerne mit einem weiteren Beispiel verdeutlichen: Obwohl bekannt ist, dass man mit dem Verzicht auf Flugreisen den größten CO2-Einspareffekt als Einzelperson erzielen kann, haben viele nun nach der schwersten Zeit der Corona Pandemie wieder ihre Urlaube gebucht. Nehmen wir an, dass sie das nicht etwa tun, weil ihnen das Wohl unseres Planeten egal wäre. Sie tun es, weil sie sich etwas davon versprechen, zum Beispiel Erholung, Horizonterweiterung, Wohlbefinden durch Familienbesuche.
In beiden Beispielen gibt es nun die Möglichkeit, sich einem “Lager” zu zu ordnen und auf den eigenen Standpunkt zu beharren, indem man “das Übel” externalisiert. Empfinde ich Menschen als selbstgerecht, wenn man mir suggeriert ich müsse mich für meine Flugreise schämen? Oder bin ich wütend auf die rücksichtslose Nachbarin, weil sie für ein Wochenende nach London fliegt? In jedem Fall entsteht auf diesem Weg eine gewisse Feindseligkeit, die zu Kampfeslust führt. Die Folge können negative Emotionen sein.
… mit einer Lösung
Anstatt ein Bild von “Wir-gegen-Die” zu zeichnen, kann man alternativ auch Haltungsarbeit betreiben. Hierbei geht es um die Frage, welche Motivation einer Einstellung bzw. einem Handeln zugrunde liegt. Hier dürfen sowohl die eigenen Werte und Haltungen ergründet werden so wie auch die des Gegenübers. Der Sozialphilosoph Martin Buber spricht in diesem Zusammenhang davon, das “ICH” im “DU” zu erkennen. Die Motivation einer anderen Person ist zweifelsohne schwerer zu begreifen als einfach nur ihre Handlungen zu bewerten. Allerdings liegt eine große Chance darin, die Haltung eines Gegenübers zu erfassen: Emotionale Haltungen können leichter angenommen werden als die daraus resultierenden Handlungen. Denn ich kann mich als menschlicher Betrachter leichter in einer Emotion wiederfinden als im Handeln eines anderen Menschen.
Gelingt es mir, die Motive des anderen in mir selbst zu finden, kann ich gnädiger mit ihm umgehen. Auf diese Weise lassen sich negative Emotionen, die auf andere gerichtet sind auflösen. Das bedeutet nicht, dass ich eine Handlung, die mir missfällt, plötzlich positiv bewerte. Aber ich kann frei von Feindseligkeit in den Diskurs gehen. Dies ermöglicht mir Abgrenzung, den Ausbau meines Kohärenzgefühls, positive Emotionen und somit Psychohygiene.
Fußnoten
- vgl. dazu: https://www.springermedizin.de/ist-der-wuenschelrutengaenger-ein-unbesungener-held/23714446?fulltextView=true&doi=10.1007%2Fs15006-022-2129-8[↩]