Es folgt eine Erklärung, warum der sogenannte defensive Pessimismus seine Vorzüge hat.
In unserer Gesellschaft steht das positive Denken wie ein Allheilmittel im Medizinschrank für ein glückliches Leben. “Lass dich nicht von negativen Gedanken herunterziehen”, “Nutze Chancen, sei Positiv, hol das Beste aus dir raus”. Diese und andere Sätze sind vermeintliche Heilsbringer, die aus der modernen Resilienzforschung abgeleitet wurden.
Dort, im Forschungsfeld der Resilienz, ist das positive Denken zu einer Art heiligem Gral geworden, durch dessen Glanz alle Alternativen in den Schatten gestellt zu sein scheinen. Ja, auch im Institut für Psychohygiene arbeiten wir schwerpunktmäßig mit den Ansätzen der positiven Psychologie und den Erkenntnissen der Resilienzforschung. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass es sich für uns nicht um ein Dogma handelt. In unserer beruflichen Erfahrung hat sich gezeigt, dass auch das negative Denken seine Vorzüge hat.
So sind zum Beispiel Menschen mit defensivem Pessimismus wichtig für eine gute Teamstruktur.
Defensiver Pessimismus bezeichnet die Strategie, geringe Erwartungen an die eigene Leistung zu knüpfen, obwohl man zuvor bereits eine höhere Leistungsfähigkeit bewiesen hat.[1]
In der Theorie dient diese Strategie dazu, Misserfolgs-Erleben abzumildern: Man überlegt sich möglichst viele Probleme, mit denen man bei der Aufgabenbewältigung konfrontiert sein könnte. Man entwickelt quasi Lösungen für Probleme, von denen man gar nicht weiß, ob sie überhaupt auf einen zukommen.
Defensiver Pessimismus dient dazu, das Gefühl von Handhabbarkeit zu stärken, wobei die Sorge um das Misslingen zum Motor der Motivation wird. Personen mit dieser Strategie lösen ihre Aufgaben in der Regel sehr zielsicher.
In diesem Fall kann also das vermeintlich negative Denken sogar als schützender und wirksamer Einfluss auf das Wohlbefinden bewertet werden, solange
- der Pessimismus nicht zur Handlungsunfähigkeit führt
- man das Erreichen des Ziels dann auch würdigen kann
Für die Teamstruktur ist eine Person mit einem solchen Handlungsmuster sehr wichtig, denn sie kann das Team vor übereiltem Aktionismus bewahren. Leider werden solche Kolleg*inn*en häufig in abwertender Weise als “Bedenkenträger” oder “Bremser” bezeichnet. Diese Haltung ignoriert nicht nur die Ressourcen, welche die betreffende Person beitragen kann, sondern schädigt auch gesunde Teamstrukturen. Viel leichter (und auch lohnenswerter) ist es doch eigentlich, die Fähigkeiten der Defensiven Pessimisten zu erkennen und zu fördern.
Fußnoten- Norem, Julie K. „Defensive pessimism, optimism, and pessimism“. In Optimism & pessimism: implications for theory, research, and practice, herausgegeben von Edward C. Chang, 1st ed., 77–100. Washington, DC: American Psychological Association, 2001.[↩]